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(1972) Soziologie und Sozialgeschichte, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Sozialgeschichte und Wirtschaftsgeschichte Abgrenzungen und Zusammenhänge

Wolfram Fischer

pp. 132-152

Was dem wissenschaftlichen Laien als die erste Aufgabe jeder Wissenschaft erscheint, ihren Gegenstand, ihre Methoden und Ziele zu definieren, gehört für den Forscher zu den schwierigsten, befriedigend kaum zu lösenden Problemen, und es hat hervorragende Wissenschaftler gegeben, die sich dieser Aufgabe niemals unterzogen haben. Der gegenwärtig häufig gehörte Vorwurf, die etablierten Wissenschaftler reflektierten nicht genung auf ihre Methoden und deren (auch gesellschaftliche) Implikationen, mag richtig sein; er zeigt jedoch weniger ein Versäumnis der Forscher an als die Tatsache, daß diejenigen, die diesen Vorwurf erheben, selbst außerhalb der wissenschaftlichen Praxis stehen. Für den Wissenschaftler pflegt die Lösung eines bestimmten Problems im Vordergrund zu stehen; er sieht seinen jeweiligen Forschungsgegenstand sehr viel konkreter als der Laie und neigt dazu, seine Methoden den jeweiligen Bedürfnissen anzupassen — oder umgekehrt, sich den Problemen zuzuwenden, deren Lösung mit den von ihm beherrschten Methoden am ehesten möglich erscheint. Die Reflexion auf die Methoden und auf den Gegenstand selbst ist wohl geeignet, ihm die Grenzen seiner Erkenntnis vor Augen zu führen, kaum jedoch, die Forschung selbst voranzutreiben, es sei denn, sie führt zu einer Entscheidung, andere Theorien zugrunde zu legen, andere Forschungstechniken zu verwenden oder das Forschungsobjekt anders abzugrenzen. Bloße Erkenntniskritik begnügt sich, wie mit Recht bemerkt worden ist, mit dem Wetzen eines Messers, ohne es zum Schneiden zu benutzen. In der wissenschaftlichen Praxis aber kommt es auf den Schnitt an, denn dieser legt das Innere bloß. Sicher ist ein gut gewetztes Messer besser als ein stumpfes, aber das Wetzen allein garantiert noch nicht den richtigen Schnitt, und der gute Praktiker wird auch mit einem nur halbwegs gewetzten Messer noch immer bessere Ergebnisse erzielen als der Theoretiker, der sich nie an einem konkreten Gegenstand abgemüht hat.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-322-83551-2_6

Full citation:

Fischer, W. (1972)., Sozialgeschichte und Wirtschaftsgeschichte Abgrenzungen und Zusammenhänge, in P. C. Ludz (Hrsg.), Soziologie und Sozialgeschichte, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, pp. 132-152.

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