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221924

(1997) Soziologie im Konzert der Wissenschaften, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Einführung

Heinz-Jürgen Niedenzu

pp. 133-134

Vor wenigen Wochen (Sommer 1995) ging die Meldung durch die Medien, daß Anthropologen in Ostafrika einen Ausgrabungsfund gemacht haben, der das lang gesuchte fehlende Stück in der Beweiskette bei der Rekonstruktion des Tier-Mensch-Übergangsfeldes darstellt. Die soziologische Fachwelt, so möchte ich hier einmal spekulieren, wird diesem Fund wohl keine allzugroße Bedeutung für den Wissenskanon des eigenen Faches beimessen. So verständlich das in dieser Detailfrage auch sein mag, so symptomatisch ist es doch für eine Soziologie, in der, wenn man der Einschätzung von Robert Reichardt (1990, S. 331) folgt, ein anthropologisches Grundwissen wohl zum fachspezifischen Wissensbestand gehört, diesem aber keine tragende Bedeutung in den großen Theorieentwürfen zukommt. So gibt es nur wenige Versuche, in systematischer Weise die für den Menschen spezifische soziokulturelle Lebensform aus der Naturgeschichte heraus zu entwickeln und verständlich zu machen. Von den Klassikern unseres Faches sind da wohl am ehesten Karl Marx und George Herbert Mead zu nennen, denen ein anthropologisches Denken vertraut war. Anschlüsse an den damaligen Stand der naturwissenschaftlichen Forschung finden wir auch in der philosophischen Anthropologie bei Helmuth Plessner und Arnold Gehlen; beiden allerdings fehlt das prozessuale Denken: nicht der Transformationsprozeß im Tier-Mensch-Übergangsfeld war ihr Thema, sondern die kategoriale Erfassung des Menschlichen. Kulturanthropologen wiederum erforschen die soziokulturellen Formen, unter den Menschen leben und lebten, in ihrer Variabilität, ohne sich allerdings einer evolutionären Perspektive zu bedienen, durchaus verständlich nach dem Scheitern der großen evolutionären Entwürfe des 19. Jahrhunderts. Auf der anderen Seite aber wird, paradoxerweise, die Historizität sozialer Phänomene in der Regel gerade durch Hinweise auf (kultur-)anthropologische Forschungen herausgestrichen.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-322-83248-1_12

Full citation:

Niedenzu, H. (1997)., Einführung, in T. Meleghy, H. Niedenzu, M. Preglau, F. Traxler & B. Schmeikal (Hrsg.), Soziologie im Konzert der Wissenschaften, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, pp. 133-134.

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