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204472

(1986) Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933, Stuttgart, Metzler.

Nachwort

Karl Löwith

pp. 136-136

Die politischen und sozialen Veränderungen in Deutschland stellen sich in den vorliegenden Aufzeichnungen vorzüglich als Trennung des Deutschtums vom Judentum dar. Diese Beschränkung war nötig, um die Forderung zu erfüllen, nur das zu berichten, was man selber erlebt hat. Der deutsche Umsturz betraf mich aber vor allem als Jude, und es wäre töricht zu meinen, man könne als Einzelner diesem allgemeinen Geschehen vielleicht doch auf irgend eine Weise entgehen. Mein Leben ist nun in der Tat durch den Abbruch der Emanzipation in Deutschland bedingt, und daraus ergibt sich die Zuspitzung auf den einen springenden Punkt: daß man Deutscher und Jude ist, gerade weil in Deutschland das eine vom andern getrennt worden ist. Auch wer sich neu beheimaten kann und das Bürgerrecht eines andern Landes erwirbt, wird einen großen Teil seines Lebens verbrauchen, um diesen Riß auszufüllen, und zwar um so mehr, je selbstverständlicher er vor Hitler ein Deutscher war und sich als solcher empfand. Obwohl dem so ist, ist die Geschichte des eigenen Lebens nicht auf diese eine Frage zusammenzuziehen. Die Welt ist weiter und das Leben reicher, als daß es sich »vor« und »nach« irgendwem einteilen ließe. Nur die Geschichte kennt solche Einschnitte, aber alle Geschichten überleben sich selbst und beständig bleibt nur, was weder ein vorher noch nachher kennt, weil es immer so ist, wie es schon war und auch sein wird.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-03222-5_4

Full citation:

Löwith, K. (1986). Nachwort, in Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933, Stuttgart, Metzler, pp. 136-136.

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