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215309

(2011) Die Eigenart der kultur- und sozialwissenschaftlichen Begriffsbildung, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Von der "Gesellschaft" zur "Vergesellschaftung"

Zur deutschen Tradition des Gesellschaftsbegriffs

Klaus Lichtblau

pp. 11-36

In einer viel beachteten akademischen Rede aus dem Jahre 1888 hatte der Tübinger Jurist, Bevölkerungswissenschaftler und Statistiker Gustav Rümelin drei unterschiedliche Gebrauchsweisen des Gesellschaftsbegriffs einander gegenübergestellt. Diese verdeutlichen zugleich die Schwierigkeiten, die an den deutschen Universitäten noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Versuch verbunden waren, den Begriff der Gesellschaft zur Grundlage einer neuen Disziplin im überlieferten Konzert der Staatswissenschaften zu machen. ‚Gesellschaft" war für Rümelin zum einen der Inbegriff aller sozialen Beziehungen, die von den einzelnen Individuen ohne Verfolgung eines besonderen Zweckes ausschließlich zur Befriedigung ihres Geselligkeitsbedürfnisses eingegangen werden. Dieser unter Absehung aller verwandtschaftlichen und geschäftlichen Beziehungen stattfindende gesellige Umgang unter den Menschen kommt dabei in den verschiedensten Formen des Zusammenlebens zum Ausdruck. Er umfaßt sowohl intime Beziehungen wie die Freundschaft als auch die flüchtige Tisch-, Reise- und Badegesellschaft. Der zweite Bedeutungsgehalt des Begriffs ‚Gesellschaft", auf den Rümelin hinwies, bezieht sich dagegen auf einen juristischen Sachverhalt. Dieser hat vermittels der Rezeption des römischen Rechts Eingang in die deutsche Sprache gefunden. Das ihm zugrunde liegende lateinische Wort societas wurde in diesem Zusammenhang zur Kennzeichnung eines Teilhabergeschäfts beziehungsweise einer Erwerbsgemeinschaft verwendet. In diesem übertragenen juristischen Sinne bezeichnet der Terminus ‚Gesellschaft" eine vertragliche Vereinigung zweier oder mehrerer Personen zur wechselseitigen Wahrnehmung ihrer gemeinsamen rechtlichen und ökonomischen Interessen.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-531-93235-4_1

Full citation:

Lichtblau, K. (2011). Von der "Gesellschaft" zur "Vergesellschaftung": Zur deutschen Tradition des Gesellschaftsbegriffs, in Die Eigenart der kultur- und sozialwissenschaftlichen Begriffsbildung, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, pp. 11-36.

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